TOP-PRIORITÄT SICHERHEIT – WIE GEHT DAS?

Aus aktuellem Anlass

Am 18.11.2020 hat die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA (Federal Aviation Administration) nach 20 Monaten das Flugverbot für die Flugzeuge des Typs Boeing 737 MAX unter Auflagen aufgehoben. Das Grounding war weltweit verhängt worden, nachdem innerhalb von vier Monaten zwei Flugzeuge dieses Typs abgestürzt waren und die Vorfälle große Ähnlichkeit aufwiesen. Von Anfang an stand die elektronische Flugsteuerung MCAS (Maneuvering Characteristics Augmentation System) – eine Designinnovation der 737 MAX  – in Verdacht, maßgeblich zu den Abstürzen beigetragen zu haben. Insgesamt 346 Menschen waren dabei zu Tode gekommen. 

In unserem letzten Artikel 737 MAX – ANALYSE EINER SYSTEMISCHEN KATASTROPHE kamen wir zu dem Ergebnis: Katastrophen sind ein Ergebnis komplexer Driftvorgänge! Im nachfolgenden Beitrag wollen wir, aus unserem systemischen Verständnis heraus, Sicherheitsprinzipien ableiten, die tauglich sind, um folgenschwere Drifts nach Menschenmöglichkeit zu vermeiden. Da Sicherheit einen Kernaspekt von Qualität darstellt, werden es die gleichen Prinzipien sein, die auch der Erzeugung von Qualität zugrundeliegen. 

„There is nothing more important to us than the safety of the people who fly on our airplanes“

Dennis A. Muilenberg, Chairman, President and CEO, The Boeing Company, 29.04.2019

Top-Priorität Sicherheit – Wie geht das?

Der oben zitierte Satz des Boeing-Chefs Dennis Muilenberg im Gefolge der beiden katastrophalen Abstürze von 737 MAX Flugzeugen, ist in Anbetracht der tatsächlichen Geschehnisse kaum nachzuvollziehen. Zweifellos wollte keiner der Entscheidungsträger bei Boeing das Leben der Crews und Passagiere mutwillig auf’s Spiel setzen. Sie hätten sich alle dazu bekannt, dass der Flugsicherheit stets die oberste Priorität zukäme. Aber das Sicherheitsziel steht im Wettbewerb und häufig im Konflikt mit anderen Zielen: Termine, Kosten, Effizienz, Rendite, Aktienkurs („Faster, better, cheaper“). Und mehr oder weniger bewusst werden in solchen Zielkonflikten Entscheidungen getroffen, die die Sicherheitsmargen graduell abschmelzen lassen, bis letztlich die Katastrophe zur Option wird – es vollzieht sich eine Drift in den Störfall. Wie kann dies vermieden oder wenigstens rechtzeitig gestoppt werden?

Durch die konsequente Umsetzung der folgenden Prinzipien:
 

Top-Priorität Sicherheit – Wie geht das?

 

Sicherheitsprinzip Nr. 1: Sinnverwirklichung statt Gewinnen-Wollen

Welchen Sinn, welches Wozu, welchen Purpose hat Boeing wohl mit der Entwicklung der 737 MAX verfolgen wollen? Zu welcher erstrebenswerten Entwicklung der Welt wollte man einen Beitrag leisten? Sollten der allgemeine Wohlstand und die persönliche Verbindung zwischen Menschen durch die Bereitstellung einer zuverlässigen, schnellen und kostengünstigen Mobilität gefördert werden? Sollte die Belastung des Planeten dank des Einsatzes von umweltfreundlicherer Technologie verringert werden? Sollte ein Beispiel für besonders effizientes, ressourcenschonendes Wirtschaften gegeben werden, indem die Potenziale einer bestehenden Technik maximal ausgenutzt wurden?

Wir wissen es nicht. Was wir aber aus der Entstehungsgeschichte der 737 MAX immer wieder lesen können, ist, dass Boeing geradezu besessen von dem Motiv war, den zunehmend unangenehmen Konkurrenten Airbus schlagen zu wollen. Wenigsten in dem umsatzstärksten Segment der Mittelstreckenflugzeuge weiterhin die Größten zu sein! Quasi automatisch könnte man damit auch noch die Aktionäre und Investoren und auch die „America First“ Propagandisten erfreuen.

Aber das Gewinnen-Wollen und die Profitmaximierung verleihen dem Tun noch keinen Sinn und somit auch keine Orientierung und nur begrenzte Energie. Das sprechen inzwischen sogar die einflussreichsten Vertreter des Finanzkapitalismus aus:

„Ohne zu wissen wofür, kann kein Unternehmen, ob börsennotiert oder nicht, sein ganzes Potenzial entfalten.“
[Larry Fink, Gründer und CEO der weltgrößten Vermögensverwaltungsgesellschaft BlackRock]

Der Sinn einer wirtschaftlichen Tätigkeit kann nur im Nutzen, in der Wertschöpfung für andere bestehen. In der Umsetzung einer „gerechten Sache“ (Simon Sinek). Diese „gerechte Sache“ schließt natürlich grundlegend aus, dass die Sicherheit von Menschen anderen Interessen untergeordnet oder auch nur ansatzweise gefährdet wird.

Unserem Beitrag 737 MAX – ANALYSE EINER SYSTEMISCHEN KATASTROPHE können Sie entnehmen, wie fatal es sich auswirkt, wenn der einzige „Sinn“ einer Aktivität im Gewinnen-Wollen liegt und eine solche Linie rücksichtslos verfolgt wird. 

Nur wenn ein über Gewinninteressen hinausgehender Sinn verfolgt wird, kann Sicherheit die angemessene Priorität bekommen.

 

Sicherheitsprinzip Nr. 2: Kundenfokus statt Egozentrik

Vor jeder Entscheidung über Prioritäten im Rahmen einer Tätigkeit ist zu klären, welcher Sinn verfolgt wird und wem die Tätigkeit dienen soll. Gemeinhin wird der Adressat und Nutznießer einer professionellen Aktivität „Kunde“ genannt. Kunden des Flugzeugbaus von Boeing sind letztendlich die Menschen, die mit Boeing-Flugzeugen sicher, zuverlässig, schnell von A nach B kommen wollen und hierfür Geld ausgeben. Als unverzichtbare Vermittler dieses Nutzens fungieren Fluggesellschaften mit ihren Piloten, Kabinencrews, Bodenmitarbeitern, Flughäfen mit ihrer Infrastruktur und Technik, ihren Mitarbeitern, Wartungs- und Instandhaltungseinrichtungen, staatliche Regulierungs- und Überwachungsbehörden, und viele andere mehr. All diese Organisationen und Menschen gehören zur Kundenseite und haben Anforderungen an das Produkt und die unterstützenden Leistungen des Lieferanten. Und da Wohl und Wehe eines Unternehmens von der Kaufbereitschaft seiner Kunden abhängen, muss dieser vielfältigen Kundenseite bei allen Entscheidungen der höchste Rang eingeräumt werden.

Wie konnten dann seitens Boeing Entscheidungen gefällt werden wie bei der 737 MAX, etwa die Fluggesellschaften und ihre Piloten nicht einmal über die Existenz des überaus potenten Flugsteuerungssystems MCAS in Kenntnis zu setzen, geschweige denn im Umgang damit zu schulen?

Auf der ersten Erklärungsebene können wir die in den letzten 30 Jahren weltweit vorherrschende ökonomische Lehre des Shareholder Value Kapitalismus heranziehen. Danach besteht der Tätigkeitszweck privatwirtschaftlicher Unternehmen in der Generierung von Gewinnen für die Eigentümer und das Management ist den Anteilseignern mehr als allen anderen gegenüber verpflichtet. Die Bedürfnisse der Kunden, bis hin zur Sicherheit von Leib und Leben, erhalten einen Rang unter oder bestenfalls neben den finanziellen Interessen der Shareholder. 

Um die richtigen Lehren für unsere Arbeit zu ziehen, sollten wir noch eine Ebene tiefer steigen. Es gab und gibt ja auch katastrophale Fehlleistungen, wo private Profitinteressen keine oder nur eine sekundäre Rolle gespielt haben dürften. Die hochgradig fragwürdige Rolle der FAA bei der Zertifizierung der 737 MAX etwa. Oder das Verhalten der BaFin im Umgang mit der kriminellen Wirecard-Unternehmung. Staatliche Institutionen. Dem Gemeinwohl verpflichtet.   

Häufig werden Entscheidungen aus stark eingeschränkten Blickwinkeln getroffen: aus der Innensicht, den Blickwinkeln der eigenen Interessen, der eigenen Ziele, des angestrebten eigenen Erfolgs, Entscheidungen mit Ego-Fokus. Anerkennung, Macht, Kontrolle (Geld ist nur ein Medium hierfür) sind Bedürfnisse, die das Ego von Individuen, Gruppen, Organisationen, Nationen, etc. verfolgt. 

Wirtschaftliche Aktivitäten in einer Wettbewerbswelt haben immer eine Ego-Seite. Doch die wird gründlich domestiziert, wenn die Bedürfnisse der Kunden wirklich in den Mittelpunkt gestellt werden. Erst recht, wenn der Komplexität der heutigen Welt Rechnung getragen und die Anforderungen aller direkt und indirekt Betroffenen, aller „Stakeholder“ (der „Interessierten Parteien“ in der Sprache der Norm), inklusive unseres Planeten, angemessene Berücksichtigung finden.

In Sicherheitsdingen gehen Kundeninteressen immer vor Eigeninteressen.

 

Sicherheitsprinzip Nr. 3: Kompetenz statt Hierarchie

Die Ikone des Desasters der 737 MAX ist Dennis A. Muilenberg, der damals allmächtig herrschende Big Boss der Boeing Company. Geboren 1964, trat er mit 21 Jahren als Flugzeugingenieur bei Boeing ein und verbrachte dort sein gesamtes bisheriges Berufsleben. Im Juni 2015 wurde er zum Chief Executive Officer ernannt, im März 2016 zusätzlich, in Personalunion, zum Chairman of the Board of Directors. Muilenbergs offizielle Bezüge betrugen in 2018 23,4 Mio. USD. 

Wir empfehlen Ihnen, die gut 16 Minuten der Pressekonferenz am 29.04.2019 auf sich wirken zu lassen. Wir begegnen einem schmächtig und unsicher wirkenden Mann, der nur formelhaft, technokratisch/bürokratisch spricht und den Saal verlässt, als ihm die Fragen der Journalisten zu nachdrücklich werden. Welche Kultur herrscht wohl in einem Unternehmen, dessen Führungsmacht in den Händen eines solchen Mannes konzentriert ist, der gleichzeitig Angestellter und sein eigener Chef ist? Eines Mannes, der nie ein anderes Unternehmen als Boeing von innen gesehen hat? 

Wir sehen in der Führungsorganisation und –kultur von Boeing einen Hauptfaktor der 737 MAX Katastrophe. Und wir gehen weiter: Formale Machthierarchie wirkt immer risiko- und driftfördernd. Je steiler sie ist, desto mehr. Sie führt dazu, dass Entscheidungen üblicherweise an Stellen gefällt werden, wo weder ausreichend Zeit, noch die umfassenden Informationen, noch der Sachverstand für tief fundierte Entscheidungen verfügbar sind. Dazu kommt noch, dass die Entscheidungsträger auf den höheren Hierarchielevels zunehmend die Interessen der Kapitaleigner teilen, die häufig mit fachlichen Anforderungen konkurrieren.

Das Maß an Wertschätzung für fachliche Kompetenz hat entscheidenden Einfluss auf das Sicherheitsniveau in einer Organisation (Weick / Sutcliffe). Um die charakteristische Fehleranfälligkeit starrer Hierarchien zu vermeiden, müssen Entscheidungen nach „unten“ und in einen größeren Kreis verlagert werden. Entscheidungsbefugnisse sollen also „wandern“ – jeweils zu den Netzwerken der Mitarbeiter mit der größten fachlichen Kompetenz. Dass dieses Prinzip erfolgreich umsetzbar ist, zeigen Beispiele aus sehr unterschiedlichen Bereichen: Hochzuverlässigkeitsorganisationen wie Flugzeugträger, Kliniken, Kernkraftwerke, Feuerwehren oder Verkehrsflugzeuge. Oder „evolutionär“ organisierte Unternehmen der Krankenpflege, Energieversorgung, IT-Beratung, Produktion von Automobilkomponenten, … (Frederic Laloux). 

Entscheidungen in Sicherheitsdingen gehören immer in die Hände von Fachleuten.

Top-Priorität Sicherheit – Wie geht das?

 

Sicherheitsprinzip Nr. 4: Achtsamkeit statt Compliance

Menschliches Denken ist effizienzgetrieben. Bewusstes, präzises, zumal komplexes Denken ist anstrengend, verbraucht viel Energie. Zudem stehen hierfür nur sehr begrenzte physiologische Kapazitäten zur Verfügung. Daher versucht das Gehirn (automatisch), statt schwieriger Probleme einfache zu lösen und sich möglichst viel mit Heuristiken zu behelfen, mit Annahmen, Annäherungen, Analogien, Deduktionen, Erwartungen, Übertragungen. Selbst in einem so verantwortungsvollen und hochgradig regulierten Prozess wie der Entwicklung eines Flugzeugs (hier: 737 MAX) können wir haarsträubende Fehlentscheidungen finden, die wahrscheinlich Ausfluss von „zieldienlicher“ Denkfaulheit sind.

Das Mittel gegen die süße Droge der Vereinfachung, Verallgemeinerung und Selbstbestätigung ist die Achtsamkeit. Wir verstehen Achtsamkeit hier wie die Hochzuverlässigkeitsexperten Weick/Sutcliffe, als eine Haltung und Praxis der Bewusstheit und Aufmerksamkeit. Dabei werden die eigenen Annahmen, Erwartungen, Selbstverständlichkeiten kontinuierlich gegen die wahrgenommene und reflektierte Realität verglichen. Im Gegensatz zur üblichen Suche nach Bestätigung ist das Ziel, Abweichungen, Unstimmigkeiten zu finden und daraus Konsequenzen zu ziehen.

Bei der Analyse der Historie der 737 MAX hatten wir festgestellt, dass sich der Weg in die Katastrophe üblicherweise in kleinen Schritten vollzieht – jeder noch so kleine Eingriff kann immense Auswirkungen haben. Und es gibt niemanden, der das ganze System überblickt. Dies bedeutet, dass Achtsamkeit jederzeit und überall zu praktizieren ist. Der Sicherheitswissenschaftler Sidney Dekker empfiehlt:

„Ask around what the step might mean in different corners of the complex system. Go deeper or wider than you may have done before. And then ask some more.“ 

Die Umsetzung von Achtsamkeit kann nicht Aufgabe weniger Experten sein. Nur als gelebte Praxis in der ganzen Organisation entfaltet sie ihre volle Wirksamkeit. 

Compliance – die Befolgung von Vorgaben von „oben“ – sollte auf ein immer wieder zu hinterfragendes, notwendiges Minimum beschränkt werden und darf Achtsamkeit und Eigenverantwortung nicht im Weg stehen. 

In Sicherheitsdingen kommt es auf die Bewusstheit und Eigenverantwortung von jedem an.

 

Sicherheitsprinzip Nr. 5: Vielfalt statt Konformismus

Die existenzkritische Fähigkeit, Sachverhalte aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist individuell unterschiedlich entwickelt, aber immer mehr oder weniger begrenzt. Dies gilt auch für Organisationen – die Begrenzung ist umso enger, je statischer, geschlossener und homogener die Organisation ist. Stark hierarchisch geprägte Organisationen mit einer Wagenburgmentalität („Wir gegen den Rest der Welt“) sind besonders gefährdete und gefährliche Akteure. Wir betrachteten hier beispielhaft Muilenbergs Boeing, könnten aber auch reichlich mit anderen Beispielen, auch von deutschen Firmen, dienen. 

Gegen die Gefahr von bewusstlosen Routinen und unerkannter Drift empfehlen wir die Förderung von Vielfalt („Diversity“) als Kernbestandteil der Sicherheitskultur: Wir empfehlen Job-Rotation, Tätigkeits-, Abteilungs- und Standortwechsel. Diese Vorgänge sollen ihre Bedrohlichkeit verlieren und alltäglicher werden. Ihr großes Potenzial für Lernen und Verbesserung soll genutzt werden.

Wir empfehlen weiterhin eine Zusammensetzung des Personals mit Mitarbeitenden, die ohne Wenn und Aber „Ja“ zu den Grundwerten und –prinzipien der Organisation sagen, aber auf der anderen Seite möglichst viel Eigenart, besondere Erfahrung, sowie rares, vielfältiges Wissen und Können in das Unternehmen einbringen. 

Und wir empfehlen dringend die Förderung einer Kultur von kritischer Reflexion und kontroversem Diskurs. Abweichende Denker dürfen nicht als „Bedenkenträger“ diskreditiert werden. Sie sind der unpopuläre, aber unverzichtbare Gegenpol zur dominanten Logik des wettbewerbsgetriebenen Aktionismus.

Diversität dient nicht nur der ständigen Weiterentwicklung von Sicherheit. Diversität ist, ganz allgemein, ein Grundnahrungsmittel lebendiger Organisationen. 

In Sicherheitsdingen kann man nie zu viele Blickwinkel einbeziehen.

 

Sicherheitsprinzip Nr. 6: Gestaltung statt Rationalisierung

Die fortgesetzte Optimierung und Rationalisierung von Strukturen und Prozessen ist eine natürliche Konsequenz des Wettbewerbs um knappe Ressourcen und hat schon viel zur Vermehrung von Wohlstand beigetragen. Wir warnen aber davor, Optimierung und Rationalisierung zum obersten Prinzip zu machen.

Der Sicherheitswissenschaftler Sidney Dekker meint:

„When an organization is convinced that its business is going faster, better and cheaper, it should get a bit uncomfortable.“ 

Weil durch lokale Optimierungen an allen Ecken und Enden das Gesamtsystem zunehmend verletzlicher wird. Je mehr ein System optimiert und durchrationalisiert ist, je weniger Spiel, Reserven, Schleifen, Redundanzen, Puffer, Sicherungen es enthält, desto größer ist die Gefahr, dass selbst kleine Störungen (wie in unserem Beispiel der Ausfall eines Anstellwinkelsensors) eine Kaskade von Problemen auslösen, die schließlich zu einer Katastrophe führen können. 

Wir empfehlen, Organisationen und ihre Aktivitäten unter Berücksichtigung vielfältiger Gesichtspunkte zu gestalten. Optimierung ist (nur) einer davon. Optimierung ist vor allem Ausfluss der Interessen der Kapitaleigner. Die Interessen und Bedürfnisse der Kunden müssen nach unserer Überzeugung höher gewichtet werden. Und die Interessen und Bedürfnisse all der anderen Stakeholder müssen in angemessener Weise in dem Gestaltungsprozess Berücksichtigung finden. 

Auch an dieser Stelle erkennen wir wieder, dass die Handlungsprinzipien, die mehr Sicherheit erbringen, einfach nur Grundsätze verantwortungsvoller, zeitgemäßer Unternehmensführung sind. 

Aus Sicherheitsgründen ist es notwendig, Spielräume für das Unerwartete zu lassen.

Optimismus vs. Pessimismus: Glas halb voll oder halb leer?

Top-Priorität Sicherheit – Wie geht das?

Im vergangenen Beitrag 737 MAX – ANALYSE EINER SYSTEMISCHEN KATASTROPHE hatten wir die Kernfaktoren und –prozesse herausgearbeitet, die ursächlich waren für die Drift in den Störfall. Nun haben wir Prinzipien vorgestellt, die der Sicherheit von Organisationen, Prozessen und Produkten dienen. Nicht möglich war es uns, und bleibt es weiterhin, direkt und allgemein umsetzbare, rezeptartige Methoden zu präsentieren. Dies liegt einfach daran, dass jede Organisation einzigartig ist – andere Menschen, andere Geschichte, andere Umwelt, andere Produkte, andere Prozesse. Das für die individuelle Organisation jeweilige „Optimum“ kann nur innerhalb der Organisation, unter Beteiligung ihrer Stakeholder, erarbeitet werden. Und dieser Prozess müsste von der Unternehmensleitung, am besten von den Eigentümern, angestoßen und orchestriert werden.

Und was können Sie tun, wenn Sie kein Firmeninhaber, CEO oder Geschäftsführer, sondern als Fach- oder Führungskraft in der Organisation tätig sind? Nehmen Sie zunächst wahr, wie Ihre Organisation tickt, nach welchen (oft unbewussten) Mechaniken Entscheidungen getroffen und Maßnahmen umgesetzt werden.

Wenn Sie die von uns vorgeschlagenen Prinzipien für richtig und wichtig ansehen, erproben Sie sie in Ihrem unmittelbaren Bereich. Regen Sie Reflexion und Diskussion an. Abhängig vom Entwicklungsstand Ihrer Organisation werden Sie mehr oder weniger Widerstand erfahren. Und sollten Sie dauerhaft keine Hoffnung auf einen Wandel zum Besseren sehen, wechseln Sie zu einer anderen, offeneren Organisation. Damit erhöhen Sie Ihre Chancen auf eine erfüllende Tätigkeit in einer erfolgreichen Unternehmung.