Unser Kollege Heinz Gaugler, langjähriger Wegbegleiter des großen „Qualitätsgurus“ Philipp B. Crosby, zeigt auf, dass der bis heute andauernde, fatale Irrweg des Qualitätsmanagements schon in den 1990er Jahren erkannt wurde.
Das Thema Qualität ist aus den Chefetagen verschwunden, es ist nur auf der Agenda, wenn’s wieder mal schief ging und Rückrufe oder Lieferverzögerungen bekannt gemacht werden müssen. Allerdings passiert das immer häufiger.
In der Automobilindustrie haben wir seit über 20 Jahren eine fast konstante Zunahme von Rückrufen, erzwungenen und freiwilligen. Die Zahl hat sich von 2010 bis 2019 verdreifacht, ein Großteil der Probleme sind Softwarefehler. In der IT, speziell im Softwarebereich sieht es demgemäß nicht besser aus, der Fall VW ID.3 steht da stellvertretend für viele. Und halbgare Betriebssysteme und fehlerhafte Apps kennt jeder zur Genüge, endlose Telefonwarteschleifen und pampige Call Center Stimmen ebenso. Es scheint aber die Verursacher nicht wirklich zu kümmern, jedenfalls habe ich die Vorstände von Audi oder VW beispielsweise nie beim Kunden um Entschuldigung und Wiedergutmachung für Fehlleistungen und Schummeleien vorsprechen sehen, und auch vom CEO von Microsoft habe ich nie etwas gehört, wenn Windows mal wieder abstürzt oder Fehler produziert.
Aber Qualität ist keine Frage von Systemen und Prozeduren, sondern von Einstellung, Verantwortung, Kultur. Wer das Bemühen um Qualität institutionalisiert (QMS) gibt dem Management das falsche Gefühl, es sei nicht mehr verantwortlich. Ich zitiere Philip B. Crosby:
„The true role of a quality manager is to make clear to the rest of management that they are the problem than the victims.“
(Philipp B. Crosby, 1992)
Wesentliche Ursachen für das Versagen des Managements in dieser Frage sind zum einen Zeitdruck, alles muss schneller fertig sein, „time to market“ als KPI, die Schnellen fressen die Langsamen, „schnell“ ist das neue „gut“ und was sonst noch alles in den vergangenen Jahren zu hören und zu erleiden war. Dass damit Qualität kompromittiert wird, liegt auf der Hand.
Und zum anderen ist es der „Quartalsdruck“, durch den Investoren, Aktionäre etc. die Unternehmen zu kurzfristigen zählbaren Erfolgen zwingen, was teilweise zu absurden Entscheidungen bei Produkten und Dienstleistungen führt. Die Langzeitwirkung solchen kurzfristigen Denkens ist allen Beteiligten bewusst, aber der Investor ist erstmal zufriedengestellt und das Management vielleicht nicht mehr da, wenn die Langzeitfolgen eintreten.
Das alles ist nachvollziehbar, aber keine Entschuldigung. Das Management versucht das Dilemma zu umgehen, in dem es Qualität entpersonalisiert. Auch dazu Crosby:
„There is an illusion among management that quality can be delegated, that there is an agreed body of knowledge (perhaps ISO 9000) whose application by specialists will produce conforming products and services; there is an illusion by professionals that the application of techniques and programs to the workforce will change the management culture of the company; there is an illusion by governments and associations that giving awards for having the proper procedures will improve quality.“
(Philipp B. Crosby,1992)
Die Zitate stammen aus dem Jahr 1992, die Illusionen sind allgegenwärtig. Wir stehen also wieder am Anfang.
Und noch eins hat sich in den vergangenen 30 Jahren entwickelt: Die Resignation vieler Kunden aus Erfahrung, siehe oben, und die Gleichgültigkeit der Arbeitenden als Ergebnis dümmlicher Sprüche.
Moderne Manager sagen stolz, dass ihre Mitarbeiter auch Fehler machen dürfen. Das ist gut gemeint, aber der Begriff führt in die Irre. Gemeint ist, dass man Neues ausprobieren, unkonventionelle Wege suchen, innovativ und entwicklungsfreudig sein soll. Dass dabei wie beim klassischen Innovations- oder Entwicklungsprozess unerwartete oder überhaupt keine Ergebnisse entstehen, liegt in der Natur der Sache, ist aber kein „Fehler“.
Ein Fehler ist die Abweichung von einer Norm, Regel oder Vereinbarung. Wenn es eine Regel gibt, dann ist sie einzuhalten, dann darf man eben keinen Fehler machen. Leider haben sich im alltäglichen Sprachgebrauch ein paar unheilvolle Sprüche eingebürgert wie „ nobody is perfect“, „irren ist menschlich“, „wer arbeitet macht Fehler“ usw.., die unterstellen, dass fehlerfreie Arbeit nicht möglich sei, dass es unvermeidbare Fehler gäbe.
Darüber kann man geteilter Meinung sein, aber darauf kommt es gar nicht an sondern darauf, was man mit diesen Sprüchen bewirkt, anrichtet. Wer zehnmal täglich hört: Wer arbeitet macht Fehler“, der wird die Forderung nach fehlerfreier Arbeit als Zumutung empfinden, Fehler als unvermeidlich hinnehmen und nichts gegen die Wiederholung tun. So rechtfertigt man low performer und leistet der Qualität Sterbehilfe.
Nebenbei: Wenn Fehler unvermeidlich sind, warum versuchen wir dann, sie zu reduzieren? Und wenn wir sie reduzieren können, wie können sie dann unvermeidlich sein?
Diese „Shit happens Mentalität“ ist bei Unternehmen wie bei Kunden weit verbreitet. Sie ist die unwidersprochene Lebenserfahrung des 21. Jahrhunderts und Ursache vielen Übels. Einen ähnlich misanthropischen Ansatz kennen wir von Motivationstrainern und von leistungsbezogenen Vergütungssystemen.
Was müsste geschehen, um Qualität in der heutigen Zeit zu Wirkung und Entwicklung zu verhelfen?
Zu allererst braucht es ein Stück Hegel’scher Einsicht in die Notwendigkeit. Schließlich bedeutet jeder Fehler eine Schwächung des Unternehmens in vielerlei Hinsicht – Nacharbeit, Ersatzbeschaffung, Kundenverluste… – und damit eine Stärkung der Wettbewerber. Wer Fehler macht, arbeitet für die Konkurrenz. Das ist die schlechte Nachricht. Die gute ist, dass die Konkurrenz in der Regel ebenso viele Fehler macht. Aber allzu lange sollte man sich nicht auf die Hilfe der Konkurrenz verlassen.
Dann sollten alle die Lautstärke ihrer Marketingmaschinen ein wenig herunterdrehen. Weniger versprechen, mehr liefern ist besser und einfacher als den Glücksverheißungen der eigenen Werbung chancenlos hinterher zu laufen.
Wer selbst die Verantwortung für Qualität im eigenen Arbeitsbereich hat, kann die beliebte Ausrede, das System habe versagt, nicht mehr vorbringen. Zu sehen aktuell im Wirecard Skandal, wo bedauernd behauptet wird, das System habe versagt. Das ist Unsinn, denn versagt haben die Personen bei Wirecard, EY, BAFIN etc.
Damit zusammenhängend sollten auch Zertifikate, Rewards, Awards und dergleichen abgeschafft werden. Die Arbeit fehlerfrei, d.h. den vereinbarten Anforderungen gemäß zu gestalten muss eine Selbstverständlichkeit sein, die keines Zertifikats oder Preises bedarf, deren Wirkung ohnehin kontraproduktiv ist. Zum Nachdenken:
„Do rewards motivate people? Yes, they motivate people to get rewards.“
(Alfie Kohn: Punished by Rewards. NY 1993)
Und schließlich müssen wir alle, Unternehmen und Konsumenten, die fatale „Shit happens Einstellung“ ablegen. Wir müssen aufhören, Fehler schönzureden und kleinzurechnen. Dann ist schon viel gewonnen.