Germanwings 4U9525 Zwischenbericht – Wie lässt sich das Unfassbare fassen?

Ein durchdachter Ansatz ist nötig: nicht nur Fachspezialisten, sondern auch die Unternehmensführungen müssen sich ernsthaft und gründlich für Gesundheit und Wohlergehen aller Mitarbeitenden interessieren

19.05.2015 | Der kürzlich veröffentlichte Zwischenbericht der französischen Flugsicherheitsbehörde BEA zur Germanwings-Katastrophe stellt fest, dass der Kopilot Andreas Lubitz „die Eingaben im Autopiloten absichtlich so verändert (hat), dass dieser das Flugzeug in den Sinkflug steuerte, bis es mit dem Gelände kollidierte“ und dass Lubitz dem Kapitän die Rückkehr in das Cockpit verwehrte.

Die Untersuchung dauert noch an und wird „auch die systemischen Ursachen, die zu diesem Unfall und ähnlichen Vorkommnissen geführt haben könnten, untersuchen.“ Dabei werden medizinische Aspekte, insbesondere „die gegenwärtige Balance zwischen ärztlicher Schweigepflicht und Flugsicherheit“ sowie Aspekte der Cockpitsicherheit im Fokus stehen.

Der BEA-Zwischenbericht enthält auch einen Überblick über frühere Unfälle mit Verkehrsflugzeugen, die (definitiv oder wahrscheinlich) durch Manöver von Besatzungsmitgliedern absichtlich herbeigeführt wurden. Seit 1980 waren das nach den Recherchen der BEA sechs Fälle, mit insgesamt 423 Todesopfern. Es handelte sich um Maschinen von Fluggesellschaften aus Mozambique, Ägypten, Botswana, Singapur, Marokko und Japan. Dass nun so etwas mit einem deutschen Flugzeug, zumal einer Maschine der Lufthansa-Gruppe, geschehen sein sollte, schien unfassbar. Lufthansa-Chef Carsten Spohr versicherte geradezu reflexhaft, Lubitz sei auf jeden Fall „100 Prozent flugtauglich“ gewesen, was sich ja bald als fatale Fehleinschätzung herausgestellt hat. Die New York Times titelte „Jet crash tests Germany’s faith in its precision“ – die wohl geordnete deutsche Welt sei auf den Kopf gestellt worden.

In einer gemeinsamen Presseerklärung der europäischen Psychologenverbände EFPA und EAAP wird betont, dass die obligatorischen psychologischen Untersuchungen von Piloten sowie die Human Factors Trainings wesentlich zu dem hohen Sicherheitsniveau in der Luftfahrt beitragen. Aber auch diese Methodik hat eine begrenzte Reichweite: „it cannot forecast the life events and mental health problems occurring in the life of each individual pilot and the unique way he or she will cope with these.“

Wir teilen diese Sichtweise und begrüßen jeden durchdachten, systemischen Lösungsansatz. Aber wir möchten das Thema nicht nur in den Händen von Fachspezialisten sehen. Es gehört in den Gesamtzusammenhang von Führung und Management. Wir halten es für unerlässlich, dass sich Unternehmer und Führungskräfte für die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Mitarbeiter ernsthaft und gründlich interessieren. Mit Mitmenschlichkeit und gesundem Menschenverstand. Besonders wichtig ist dies natürlich bei Menschen, die in Hochrisikobereichen arbeiten.